Einweihung des energieautarken Mehrfamilienhauses in Wilhelmshaven. Foto: Wilhelmshavener Spar- und Baugesellschaft


In vernetzten energieautarken Mehrfamilienhäusern sorgen große Solarthermie- und Photovoltaikanlagen mit Speichern für hohe Energieautarkie. Das ermöglicht eine Pauschalmiete mit Energieflatrate.

Die Wilhelmshavener Spar + Baugesellschaft und die eg Wohnen 1902 in Cottbus haben sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen geliefert. Beide Wohnungsunternehmen haben Bauprojekte verwirklicht, mit denen sie einen neuen Weg als Vermieter beschreiten. Die Bewohner ihrer zur Jahreswende fertiggestellten energieautarken Mehrfamilienhäuser zahlen keine Betriebs- und Heizkosten, sondern eine verbrauchsunabhängige Pauschalmiete inklusive Energieflatrate. Das ist ein Novum in der Wohnungswirtschaft und hat bereits für viel Aufmerksamkeit gesorgt. Ermöglicht wird das neue Mietmodell durch die großen Solarthermie- und Photovoltaikanlagen mit entsprechenden Speichern. Das Konzept der energieautarken Gebäude geht auf den Solar- und Energieexperten Timo Leukefeld zurück. Er will damit ein neues Geschäftsmodell für Wohnungsunternehmen, Banken und Energieversorger etablieren. Die Solarthermie spielt dabei eine entscheidende Rolle.

Geschäftsmodelle verkaufen

„Wir verkaufen keine Solaranlagen mehr, wir verkaufen Geschäftsmodelle“, betont Leukefeld, der sich seit knapp drei Jahrzehnten mit Solartechnik beschäftigt und seit einigen Jahren auch mit dem Wohnen und Leben in der Zukunft. Eine Frage, die ihn umtreibt, ist, wie die Energiewende im Wohnungswesen beschleunigt werden kann. Weder die existierenden Förderprogramme, noch die geforderten Effizienzmaßnahmen und auch nicht der beständige Appell, Energie einzusparen, hätten bisher die gewünschte Wirkung gezeigt. So lautet sein Fazit. Deshalb geht Leukefeld einen anderen Weg.

Ausgangspunkt Null-Grenzkosten-Gesellschaft

Dabei beruft er sich auf den Standpunkt der Null-Grenzkosten-Gesellschaft. Die von dem Wirtschaftsprofessor Jeremy Rifkin entwickelte Theorie besagt, dass technologische Umwälzungen dazu führen werden, die Grenzkosten vieler Produktionsprozesse auf nahezu Null zu reduzieren. Grenzkosten sind die Kosten, die für jede zusätzlich produzierte Einheit eines Gutes anfallen. Wenn die Grenzkosten gleich Null sind, kann kostenlos produziert werden, sobald die Fixkosten gedeckt sind. Auf die Energiewirtschaft übertragen, heißt das: Während die fossilen Rohstoffe aufgrund ihrer Endlichkeit immer teurer werden, wird Solarenergie immer günstiger.

Leukefeld geht davon aus, dass Solarstrom aus einer neuen Photovoltaikanlage auf einem Einfamilienhaus in Deutschland im Jahr 2020 nur noch ein bis zwei Cent je Kilowattstunde kosten wird. „Langfristig gesehen wird Energie aus regenerativen Energieträgern kostenlos sein“, prognostiziert er. „Deshalb drehen wir die Gängelei in etwas Positives um und plädieren dafür, erneuerbare Energie intelligent zu verschwenden, anstatt blöd zu sparen. Solarenergie für Wärme, Strom und Elektromobilität soll nach Belieben und reichlich genutzt werden: Dann können die Menschen wieder die Heizung aufdrehen, das Licht anlassen und mit gutem Gewissen viele Tausend Kilometer mit ihrem Elektroauto fahren. Das zieht an und verführt zum Energiesparen, die Investitionen in klimaschonende Haustechnik auf Basis von Solarenergie kommen in Schwung.“

Das energetische Grundkonzept geht auf das Sonnenhaus-Konzept zurück. Leukefeld hat es zum Konzept der „vernetzten energieautarken Gebäude“ weiterentwickelt. Das Prinzip ist denkbar einfach: Mit großen Solarwärme- und Solarstromanlagen auf den nach Süden gerichteten Dachflächen und an den Fassaden werden hohe Autarkiegrade in der Wärme- und Stromversorgung erreicht.

Solarenergie speichern

Strom und Wärme, die gerade nicht benötigt wird, kann in Langzeitenergiespeichern für den späteren Verbrauch zwischengespeichert werden. In Cottbus beispielsweise sollen 60 bis 70 Prozent des Energiebedarfs für Elektrizität und die Heizung mit kostenfreier Solarenergie erzeugt werden. Damit werden die Energiekosten 60 Prozent unter den Kosten liegen, die bei Gebäuden mit Passivhaus-Standard für Wärme und Strom anfallen würden.

Die Kosten für die Restenergiemenge sind gut planbar, deshalb kann der Vermieter eine Pauschalmiete anbieten. „Das ist das Prinzip der Nahe-Null-Grenzkosten“, erklärt Leukefeld. „Zu Anfang ist die Investition höher, dafür sind die Energiekosten in der Zukunft aber gleich abgedeckt.“

Intelligent verschwenden

„Die Leute können sich bewegen, wie sie wollen und brauchen sich nicht an die Technik anzupassen“, benennt Leukefeld einen wesentlichen Vorteil des solaren Baukonzeptes. „Sie können die Solarenergie intelligent verschwenden, ohne horrende Nebenkostenrechnungen befürchten zu müssen.“ Dafür werden einige „energetische Sicherungen“, wie er es nennt, eingebaut. So wird beispielsweise die sehr gut dämmende Gebäudehülle den Wärmebedarf auf ein Minimum reduzieren.

Und der Geschirrspüler wird an das warme Wasser, das größtenteils von Solarenergie erwärmt wird, angeschlossen. „Das spart bis zu 80 Prozent Stromkosten und der Geschirrspüler kann bedenkenlos und häufig benutzt werden, ohne dass die Energiebilanz verhagelt wird“, erläutert Leukefeld. Wie das Konzept in der Umsetzung aussieht, zeigt das Bauprojekt in Cottbus.

Vernetzte Mehrfamilienhäuser in Cottbus 

Die vernetzten energieautarken Mehrfamilienhäuser der Wohnungsbaugenossenschaft eG Wohnen sind für die aktive und passive Nutzung der Solarenergie optimiert. Die Gebäude (KfW-Effizienzhaus-Standard 55) mit jeweils 600 Quadratmeter beheizter Wohnfläche sind mit hochwärmedämmendem einschaligem Ziegelmauerwerk errichtet. Deswegen ist keine außen aufgebrachte Dämmung mehr erforderlich. Hierdurch, aber auch durch die Ausrichtung nach Süden wird der Wärmebedarf stark reduziert. Die Häuser werden von der Helma Eigenheimbau AG aus Lehrte errichtet, die seit 2011 energieautarke Gebäude plant und baut.

Die Dächer sind mit 50 Grad steiler als üblich, damit im Winter bei tief stehender Sonne viel Wärme und Strom erzeugt werden kann. Auf den nach Süden gerichteten Dächern und einem Teil der Fassaden wurden jeweils 100 Quadratmeter Solarwärmekollektoren und Solarstrommodule mit jeweils 29,58 Kilowatt Leistung montiert.

Die Heizenergie, die gerade nicht benötigt wird, fließt für den späteren Verbrauch in einen Langzeitwärmespeicher mit 24,6 Kubikmeter Wasser. Im Sommer kommt überschüssige Wärme über ein Nahwärmenetz zwei Nachbargebäuden zugute. Dadurch werden auch hier die Heizkosten reduziert und der Ertrag der Solarthermieanlage wird verdoppelt. Der geringe verbleibende Heizenergiebedarf wird mit einem Gasbrennwertkessel mit 40 Kilowatt Leistung erzeugt. Das warme Wasser wird über Frischwasserstationen bereitet.

Die Photovoltaikanlage wiederum liefert Strom für die Haushaltsgeräte, die Anlagentechnik und Elektroautos. Für die Speicherung des Solarstroms werden Lithium-Ionen-Akkus mit jeweils 54 Kilowattstunden Speicherkapazität eingebaut.

Novum Pauschalmiete

Im Dezember war das Haus bezugsfertig. Die Mieter zahlen eine Pauschalmiete von 10,50 Euro je Quadratmeter. Darin sind die Strom- und Wärmekosten schon enthalten.

Bei dem Mehrfamilienhaus in Wilhelmshaven werden die großen Solarthermie- und Photovoltaik-Anlagen auf dem Dach, an der Fassade und an den Balkonen rund 70 Prozent des Energiebedarfs für Wärme und Strom solar erzeugen. „Die Wohnungen waren in kürzester Zeit vermietet, die Nachfrage war deutlich höher als das Angebot“, sagt Peter Krupinski, Vorstandsmitglied der Spar- und Bau, zufrieden. Die Mieter konnten ebenfalls im Dezember einziehen. Auch sie zahlen eine verbrauchsunabhängige Pauschalmiete von 10,50 Euro je Quadratmeter und Monat, allerdings mit einer Einschränkung. „Wir haben auskömmliche Verbrauchsobergrenzen mit den Mietern vereinbart“, sagt Krupinski. Für Strom und die Heizung liegt die Obergrenze bei jeweils 3.000 kWh pro Jahr, beim Wasser beträgt sie 100 Kubikmeter im Jahr. Darüber hinausgehende Verbräuche würden individuell abgerechnet. Displays in den Wohnungen zeigen den Mietern ihre Verbrauchsdaten tagesaktuell an.

Neue Geschäftsmodelle

Die Wohnungsunternehmen positionieren sich mit diesen Bauprojekten als innovationsfreudige Vermieter, die sich für den Klimaschutz engagieren. In Städten und Regionen mit einem Mietermarkt bieten sie damit zudem attraktiven, konkurrenzfähigen Wohnraum an. In Städten mit Wohnungsmangel wie den bundesdeutschen Großstädten könnten durch das Energiekonzept höhere Mieten erzielt werden.

Timo Leukefeld hat aber nicht nur Wohnungsunternehmen im Blick. Er hat auch schon Banken für sein Baukonzept gewonnen. Vorreiter war die VR-Bank Altenburger Land. Sie hat als erstes Finanzinstitut Deutschlands im thüringischen Schmölln ein energieautarkes Einfamilienhaus nach seinem Konzept gebaut. Die Bank macht ihre Kunden damit auf eine neuartige Geldanlage aufmerksam, bei der sie im Alter eine zweite Rente durch die Einsparung von Energiekosten haben. Zugleich kann sie Kredite für solche Bauvorhaben verkaufen. Die VR-Bank in Aalen, Baden-Württemberg, zieht gerade mit zwei Mehrfamilienhäusern nach dem gleichen Konzept nach.

Die dritte Zielgruppe sind Energieversorger. Sie können die großen Speicher nutzen, um überschüssigen Wind- und Solarstrom in Form von Wärme oder Strom zu speichern und bei Bedarf wieder zu entnehmen. „Auf die Weise profitieren nicht nur die Bewohner und die Vermieter von dem Energiekonzept, sondern auch die Allgemeinheit. Wenn lokale Speicherkapazitäten genutzt werden, sinkt der Bedarf für den Ausbau des öffentlichen Stromnetzes“, erklärt Leukefeld. Er sammelt schon seit 2013 eigene Erfahrungen mit dem Konzept. In einem solchen Einfamilienhaus wohnt er mit seiner Familie, ein zweites, das direkt daneben steht, nutzt er als Büro für sein Planungsunternehmen. Im Rahmen eines Forschungsprojektes hat der Energieversorger und –dienstleister Envia Mitteldeutsche Energie AG den Wärmespeicher in dem Haus, das als Büro genutzt wird, mit Power-to-heat bewirtschaftet. Über mangelnde Nachfrage kann Leukefeld sich nicht beklagen. Er hat für zehn weitere Auftraggeber energieautarke Mehrfamilienhäuser, auch in Quartieren, geplant, die kurz vor der Umsetzung stehen.