Solarwärme für IKEA Singapur. Foto: SOLID

Der Prozesswärmebedarf in Industrie und Gewerbe trägt mit gut einem Fünftel zum Gesamtenergieverbrauch in Deutschland bei. Damit die Energiewende auch in der Produktion gelingt, kann Solarwärme einiges beitragen. Das belegen zahlreiche solare Prozesswärme-Anlagen schon heute.

Seit Oktober 2016 braut die Brauerei Radoy in Kiew Solarbier. 216 Quadratmeter Flachkollektoren des österreichischen Herstellers Gasokol liefern 100 Megawattstunden Wärme im Jahr, um das Brauwasser auf bis zu 90 Grad Celsius zu erwärmen. Das sind 70 Prozent der benötigten Wärmeenergie. Auch Ikea investiert in solare Prozesswärme. Das Unternehmen errichtete im Jahr 2017 ein Kollektorfeld mit 5.050 Quadratmetern auf dem Dach seines Möbelhauses in Singapur, um damit eine Absorptionskältemaschine mit 800 Kilowatt Leistung anzutreiben. Die Solartechnik stammt vom österreichischen Solarwärmeanbieter SOLID, der hier Kollektoren des Berliner Herstellers KBB einsetzt.

Auch in Deutschland gibt es bereits eine ganze Reihe von Solarwärmeanlagen zur Prozesswärmeerzeugung. Seit dem Jahr 2012 fördert der Bund die solare Prozesswärme im Rahmen des Marktanreizprogramms. In dieser Zeit haben Betreiber von rund 317 Anlagen mit insgesamt 28.340 Quadratmeter Kollektorfläche Fördermittel beantragt (siehe Diagramm „bewilligte Kollektorfläche“).

Das entspricht einer installierten Wärmenennleistung von fast 20 Megawatt. Damit sind die Pozentiale, die die solare Prozesswärme zur Energiewende beitragen könnte, aber nur zu einem verschwindend geringen Anteil ausgeschöpft. Denn der Wärmebedarf von Industrie und Gewerbe trägt mit gut einem Fünftel zum Gesamtenergieverbrauch in Deutschland bei.

Viele Prozesse laufen unter 100 Grad ab

Nach Zahlen des Bundeswirtschaftsministeriums waren es zum Beispiel im Jahr 2015 rund 532 Terrawattstunden Wärmeenergie, die Industrie und Gewerbe aufgewendet haben. In Potenzialstudien, wie in der Studie „Das Potential solarer Prozesswärme in Deutschland“ von der Universität Kassel, findet man Angaben zur Verteilung der Temperaturniveaus. Rund 70 Prozent der Prozesswärme benötigen Prozesstemperaturen von mehr als 250 Grad Celsius. In diese Prozesse können Solarwärmeanlagen nicht sinnvoll integriert werden. Anders sieht es aber mit den verbleibenden 30 Prozent aus. Hier kann die Solarwärme ihren Beitrag leisten. Besonders das Fünftel der Prozesswärme, das in Prozessen mit weniger als 100 Grad Celsius Temperatur steckt, bietet ein ideales Umfeld für Solarwärme. Sowohl Flachkollektoren als auch Vakuumröhrenkollektoren sind für diese Temperaturen geeignet. Vakuumröhren können aber auch im Bereich von 100 bis 150 Grad Celsius ihre Dienste leisten. Auch konzentrierende Kollektoren wie Fresnel oder Parabolrinnen decken solche Temperaturen ab. Sie können sogar bis 250 Grad Celsius ordentliche Erträge von der Sonne ernten.

Die Branchen, in denen solare Prozesswärme eingesetzt werden kann, sind vielfältig. Gut geeignet sind Prozesse in der Metallverarbeitung wie das Galvanisieren, das Beizen oder Entfetten.

Auch die Landwirtschaft kann sehr gut umweltfreundliche Solarwärme nutzen. Sei es zum Heizen von Gewächshäusern und von Ställen für die Tierzucht oder beim Trocknen von Kräutern. Es gibt bereits Anlagen bei Autolackierern und Bitumenverarbeitern. In der Lebensmittelindustrie sind die Möglichkeiten ebenfalls breit gestreut. Nicht nur beim Brauen von Bier sondern auch beim Kochen, Räuchern, Sterilisieren und Eindampfen drängt sich die Solarwärme als Alternative zum fossil befeuerten Kessel auf.

Potenziale liegen brach

Viele der solaren Prozesswärmeanlagen, die heute in Deutschland in Betrieb sind, kann man dem Bereich Gewerbe Handel und Dienstleistungen (GHD) zuordnen (siehe Diagramm Anwendungen der Prozesswärme). Das sind zum Beispiel eine Reihe von Autowäschereien und viele Betriebe mit Industriespül- und Waschanlagen. Dabei handelt es sich um kleine Anlagen mit durchschnittlich nur wenigen Kilowatt Leistung. Anlagen im Megawattbereich wie bei Ikea in Singapur sind in Deutschland noch kaum umgesetzt worden. Flachkollektoren kamen etwas häufiger als Vakuumröhren zum Einsatz. Luftkollektoren spielen mit mehr als einem Viertel eine große Rolle. Denn viele Prozesse wie das Trocknen von Heu oder Kräutern werden mit warmer Luft realisiert. Da bietet es sich natürlich an, direkt die Luft mit Solarwärme zu erwärmen.

Experten sehen gute Gründe für die solare Prozesswärme. Bastian Schmitt, Leiter Prozesswärme imFachgebiet Solar- und Anlagentechnik der Universität Kassel, weist daraufhin, dass Solarwärmeanlagen im Vergleich zu Photovoltaikanlagen dreimal so hohe Systemerträge erzielen können. Auch die Speicherkosten sind bei der Solarwärme deutlich geringer. Es gibt heute ausgereifte Standardkomponenten mit einer Lebensdauer von bis zu 30 Jahren und der Wartungsaufwand für Solarwärmeanlagen ist gering. Hinzu kommen die niedrigen Wärmegestehungskosten von 25 bis 50 Euro pro Megawattstunde. Diese Kosten sind langfristig kalkulierbar und bleiben über die Jahre immer gleich. Kostensteigerungen sieht die Sonne nicht vor. Bei einem Investitionsaufwand nach Abzug der Förderung von 180 bis 500 Euro pro Quadratmeter Kollektorfläche ergeben sich Amortisationszeiten von fünf bis sieben Jahren. Und darin liegt wohl das größte Hemmnis: Vielen Entscheidern in der Industrie ist das zu lang. Daher sind es dann meist doch die familiengeführten mittelständischen Unternehmen, die langfristiger denken und darum in Solartechnik investieren.

Autowaschen ideal geeignet

Ein gutes Beispiel ist der Familienbetrieb Mr. Wash. Das Unternehmen hat im Jahr 2017 an ihrem Standort in Bremen eine Solaranlage mit 350 Kilowatt Leistung installiert. Autowaschanlagen bieten generell optimale Voraussetzungen für solare Prozesswärme, weil im Sommer besonders viele Leute ein sauberes Auto haben wollen. Die Anlage in Bremen ist nicht die erste bei Mr. Wash. Auch an Standorten in Hannover und Kassel hat das Unternehmen bereits Solaranlagen mit Vakuumröhren von Ritter XL Solar aufgestellt.

Die erste solare Waschstraße entstand aber in Mannheim. Die Solarwärme erwärmt dort das Wasser für die Reinigung der Fahrzeuge auf 45 bis 50 Grad Celsius. Dabei handelt es sich um durch Osmose gereinigtes Leitungswasser. Außerdem trägt die Solaranlage zur Wärmeversorgung der Lufttrockner am Ende der Waschstraße bei, die mit einer Temperatur von 90 Grad Celsius arbeiten. Laut Raoul Enning, Geschäftsführer von Mr. Wash, können die Kollektoren auf dem Dach je nach Größe 35 bis 40 Prozent des jährlichen Wärmebedarfs einer Waschstraße decken. „An sonnigen Tagen wird die Wärme-Grundlast vollständig von der Solaranlage getragen“, sagt Enning.

Solarwärme für Biogemüse

Auch Thomas Keßler, der einen Demeter Gemüsehof in Bohlingen am Bodensee betreibt, hat in Solar investiert. Mit vier festen und zehn Saisonarbeitskräften bewirtschaftet er 30 Hektar Land. In den beheizbaren Folien- und Glas-Gewächshäusern wachsen Gurken und Tomaten. Auf Freiflächen baut er noch Salate, Kartoffeln, Rote Beete und andere Gemüsesorten an. Eine umweltschonende Landwirtschaft ist für den 56-Jährigen aber auch eine Herzensangelegenheit. So hat er beispielsweise seine Felder bis zum Jahr 2011 noch mit Pferden bestellt.

Für das Beheizen und Entfeuchten seiner Gewächshäuser benötigt Keßler rund 1.470 Megawattstunden Wärme im Jahr. Einen guten Anteil daran trägt seit 2015 die Solaranlage mit ihren knapp 700 Kilowatt Leistung bei. Hinzu kommen eine Hackschnitzelheizung mit 300 Kilowatt Leistung und eine Stückholzheizung mit 350 Kilowatt Leistung. Zu dem bestehenden Pufferspeicher mit 30.000 Liter Fassungsvermögen wurde ein zweiter 42.000 Liter-Speicher aufgestellt. Er wurde im Freien – gut isoliert und abgedeckt – platziert. Der neue Speicher nimmt nur Wärme von den Solarkollektoren auf, während der alte Speicher aus den beiden Holzkesseln und je nach Bedarf zusätzlich mit Solarwärme gespeist wird. Nach einem starken dritten Quartal im Jahr 2014 dümpelte die Marktentwicklung der solaren Prozesswärme in den vergangenen Jahren ohne erkennbaren Trend vor sich hin. Das neue Rekordquartal am Ende des vergangenen Jahres macht aber Hoffnung. Die staatliche Förderung ist nach wie vor sehr gut.

Neu ist in diesem Jahr, dass nicht mehr das Marktanreizprogramm sondern die Richtlinie „Förderung der Energieeffizienz und Prozesswärme aus Erneuerbaren Energien in der Wirtschaft“ maßgeblich ist. Seit kurzem gibt es eine VDI-Richtlinie, die Planer und Energieberater bei der Machbarkeitsabschätzung und der Vorplanung von Solaranlagen für die Prozesswärmeerzeugung unterstützt. Damit ist ein Instrument geschaffen, dass den Unternehmen eine fundierte Entscheidung für oder gegen die solare Prozesswärme ermöglicht.